geschrieben von Regine Kaufmann
Henry Kaufmann wurde am 27. April 1921 in der erzgebirgischen Bergarbeiterstadt Lugau geboren. Seine Kindheit war geprägt durch sein musikalisches Elternhaus. Sein Vater war der in Lugau bekannte Musikerzieher, Komponist und Heimatdichter Willy Kaufmann, seine Mutter war Sängerin. Seine musikalische Erziehung begann mit Klavier-, Flöten-, Klarinetten- und Gitarrenunterricht. 1936 nahm er ein externes Studium in den Fächern Klarinette, Klavier, Komposition und Arrangieren in Chemnitz auf. Daran schlossen sich Engagements in verschiedenen Tournee- und Kurorchestern an, mit denen er quer durch Deutschland reiste.
Seine musikalischen Fähigkeiten halfen ihm, im 2. Weltkrieg und während der langjährigen Kriegsgefangenschaft (bis Ende 1949) zu überleben. Er wurde ins Orchester delegiert und musste später dort verschiedene Ensembles gründen und leiten und machte sich bereits einen Namen. Diese Erfahrung kam ihm auch zugute als er später, parallel zu einer Rundfunkarbeit, das Volkskunstensemble des Funkwerks Köpenick in Berlin leitete.
1950 wurde er auf Empfehlung des Komponisten Jean Kurt Forest Mitarbeiter des Rundfunks der DDR. Als Musikredakteur beim Berliner Rundfunk, später als Leiter der Redaktion „Kinder- und Jugendmusik“ beim Deutschlandsender war er maßgebend beteiligt an der Entwicklung spezieller Sendungen für Kinder und Jugendliche und am Entstehen neuer Kinderlieder. Seit dieser Zeit widmete er sich mit besonderer Vorliebe dem Kinderlied und der Musik für Kinder.
Er komponierte mehr als 250 Kinderlieder, von denen heute noch einige in Schulen auf dem Plan stehen, andere gehören zum Repertoire in den Kindergärten. „Ein ganzer Teil dieser Lieder“, so die Meinung von Pädagogen, „werden in ein nationales, d. h. gesamtdeutsches Erbe eingehen. In diesen Liedern finden sich sprühende Lebenslust und Poesie mit eingängigen Melodien und Harmonien.“
Auch mit dem Solistenensemble Henry Kaufmann wurde er in dieser Zeit bekannt. Neben zahlreichen Rundfunkeinspielungen und Gastspielen führten Tourneen des Ensembles u. a. nach Rumänien, Finnland und zum Pressefest der L’Humanite nach Paris.
Ab 1964 arbeitete Henry Kaufmann als freischaffender Komponist, Orchesterleiter und Musikerzieher. Zeitweise war er als Lektor im Verlag Lied der Zeit unter Vertrag.
Zu seinen Hauptwerken gehören eine Kinderoper, uraufgeführt an den Städtischen Bühnen Gera, mehrere Kindermusicals und Ensemblespiele, Ballettmusiken, desweiteren Schul- und Kindermusiken (speziell für den Unterricht in den Musikschulen), etwa 250 Kinderlieder, viele davon mit eigenen Texten, (die meisten wurden im Rundfunk produziert und liegen heute im Deutschen Rundfunk-Archiv), Chansons, kleinere Orchesterstücke, Orchestersuiten sowie Musiken zu etwa 300 Kurz-, Trick- und Dokumentarfilmen, zu Bühnenstücken, Fernsehfilmen und Fernsehserien wie „Jan und Tini“ oder „Treff mit Petra“.
Dafür wurde er in der DDR mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Kunstpreis, der Verdienstmedaille, der Artur-Becker-Medaille in Silber und Gold sowie der Ehrennadel des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler In Bronze und in Silber.
Seit 1969 war er Mitglied des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR, jetzt Mitglied des Deutschen Komponistenverbandes, und wurde als ordentliches Mitglied der GEMA 2002 im Rahmen der Mitgliederversammlung der GEMA für 50 Jahre GEMA-Mitgliedschaft geehrt.
Seine Wurzeln konnte Henry Kaufmann nicht verleugnen. Obgleich er mit 18 Jahren das heimatliche Lugau verlassen hat, als Musiker quer durch Deutschland gereist ist und in vielen Ländern gastierte, waren seine temperamentvollen Erzählungen eine anheimelnde Mischung aus Hochdeutsch mit Berliner Akzent und erzgebirgischem Dialekt.
Zudem hat er sich nicht nur intensiv mit der Aufarbeitung der künstlerischen Hinterlassenschaft seines Vaters beschäftigt, er hat auch selbst weit über 20 erzgebirgische Lieder und Gedichte verfasst. Auch in seinem Buch „Aus der Sicht eines Musikanten“ (erschienen im Verlag Ansichtssache Berlin) widmet er viele Kapitel in liebevoller Erinnerung seinem Elternhaus und schildert detailliert Ereignisse „seiner Zeit“ in seiner Heimatstadt Lugau.
Viele seiner Lieder, z. B. „Der Rundgesang“, D’r Engel und d’r Raachermaa“, „Wenn’sch in d’n Himmel komm“ oder „Besucht uns mol im Arzgebirg“ gehören heute bereits zum Liedgut vieler Singegruppen und Chöre im Erzgebirge.
Alle seine Kompositionen zeichnen sich aus durch einprägsame Melodien, rhythmisch betont und in reizvoller Vielfalt. Er vermittelte positives Denken, Liebe zur Arbeit und Geduld zu üben. Und er ging dabei selbst als Vorbild voran. Mit großer Intensität und immensem Fleiß erarbeitet er sich immer wieder neue Themen und neue Gebiete. So hat er beispielsweise mit etwa 40 Jahren Geigenunterricht genommen und setzte sich später mit großer Energie und Ausdauer mit der modernen Technik elektronischer Instrumente auseinander.
Darüber hinaus engagierte er sich von 1981 bis 1991 im FEZ (Kinderfreizeit- und Erholungszentrum Berlin) als musikalischer Leiter der Arbeitsgemeinschaft „Singen und Spielen“. Er komponierte und erarbeitete mit Kindern im Alter von 10 bis 14 Jahren u. a. die Kindermusical „Honigland“, Die Perlenkette“ oder „Die verliebte Hexe“. Die Gruppe reiste damit nach Sofia zur Internationalen Kinderassemblee, nach Aarhus in Dänemark und absolvierte Fernsehauftritte. Daraus ergab sich auch für Henry Kaufmann eine langjährige Zusammenarbeit mit anderen Ensembles – so z. B. dem Fritz-Reuter-Ensemble in Anklam, dem Staatlichen Tanzensemble der DDR, dem Zentralen Pionierensemble im ehemaligen Karl-Marx-Stadt. Und er komponierte und produzierte mit so renommierten Chören wie dem Philharmonischen Kinderchor Dresden, den Rundfunk-Kinderchören Berlin und Leipzig, dem Kinderchor des Eisenbahner-Ensembles oder dem Kinder- und Jugendchor Gotha.
Seit seiner Tätigkeit für das DDR-Fernsehen, speziell für das Kinder- und Jugendfernsehen, leistete er mehr als 40 Jahre wertvolle musikalische Arbeit im Fernseh- und Tournee-Ensemble von Meister Nadelöhr – und nach dessen Tod mit dem Ensemble „Pittiplatsch und seine Freunde“, die auch in den alten Bundesländern große Erfolge feierten. Mit dem Ensemble reiste er noch in hohem Alter und hat mit dieser Tourneearbeit bis 2005 für die Kinder und deren Eltern nicht nur heitere Bildung verbreitet, sondern einen Maßstab für eine humanistische und ehrliche Kinderkultur gesetzt.
Am 17. April 2010 verstarb Henry Kaufmann, wenige Tage vor seinem 89. Geburtstag, nach langer Krankheit in Berlin.
Noch viel Neues und Unbekanntes wird derzeit in seinem Nachlass entdeckt, was für seinen großen Fleiß und die Liebe zu seiner „Berufung“ spricht.
Das Schaffen Henry Kaufmanns war geprägt von einer lebensbejahenden Einstellung, von grundsätzlich humanistischen Gedanken.
Er hat von sich und seinem Schaffen nie Aufhebens gemacht. Denn seine Haupteigenschaften waren Bescheidenheit und Ehrlichkeit. Deshalb ist er wohl auch nie zu einem schlagzeilenträchtigen Bekanntheitsgrad gelangt.
Der gesamte künstlerische Nachlass wurde dem Deutschen Komponistenarchiv in Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste Dresden übergeben. Die Zustimmung des Beirats des Deutschen Komponistenarchivs erhielt Henry Kaufmann noch zu seinen Lebzeiten im September 2009.
Die Lebensleistung des Komponisten Henry Kaufmann und sein schöpferisches Wirken waren durchgängig geprägt von seiner Liebe zu den Menschen, vor allem zu den Kindern.
Er komponierte:
- Kinderoper „Fax und der Sandmann“ (UA 1968 am Stadttheater Gera),
- Musical „Das Nachtigallenfest“ (1970 Theater Bernburg)
- Musical für Kinder „Des Kaisers neue Schneider“ (1974 Bernburg)
- Musikalisches Märchen „Die Zauberburg“ (1975 Bernburg)
- Musikalisches Lustspiel „So ein Theater“ (1978 Bernburg)
- Kinderballett „Reineke Fuchs“ 1978
- Filmmusik „Rote Bergsteiger“ (Fernsehserie in 13 Folgen)
- Musik zu zahlreichen Märchen- Kinder- Trick- und Dokumentarfilmen (u. a. „Schmutzmoritz“, über 50 Filme der Serie „Jan und Tini“); er schrieb Musik für Abendgrüße, viele Kinder-und Jugendfernsehproduktionen (u. a. die Fernsehreihe „Treff mit Petra“) sowie zu Fernsehspielen und Fernsehfilmen (1989 „Der Rest der bleibt“ mit Annekatrin Bürger und 1992 „Scheusal“ u. a. mit Walfriede Schmidt)
- desweiteren mehrere Ensemblespiele, die er selbst mit Kindern einstudierte und die u. a. in Polen, Bulgarien und Dänemark aufgeführt wurden
- Chansons und Lieder, kleinere Musikstücke, Titel für das Eugen-Cicero-Trio
- Orchestersuiten
- Schulmusiken (Literatur für kleine Pianisten, Gitarrenschule u. a.)
- Herausgeber und Bearbeiter verschiedener Liederbücher
Erzgebirgslieder (nach eigenen Texten in Mundart)
- Auftaktlied zum bundesweiten Aktionstag der Chorjugend im DSB
- Und noch vieles andere.
Zahlreiche seiner Kompositionen werden noch heute für Liederbücher, CD-Produktionen oder von Chorleitern angefragt.
Seine biografische Aufzeichnungen „Aus der Sicht eines Musikanten“ erschienen 2001 im Verlag Ansichtssache.